WDR5 Zeitzeichen
(Sendung vom 18.12.2005 (s.u.))


Stichtag heute: 18. Dezember 1995, der Todestag des Computerpioniers Konrad Zuse.
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"Man kann scherzhaft sagen, ich habe den Computer erfunden, weil ich zu faul war zum Rechnen."
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Konrad Zuse hat es mit Humor und Selbstironie weggesteckt, dass seine Erfindung, der Computer, viel berühmter wurde als er. Der zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit prägen ihn: Er ist kein Charismatiker, der die Menschen für seine Ideen begeistert, kein Manager, der auf seine Erfindung ein Firmenimperium gründet, sondern ein genialer Tüftler, Bastler...
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"...dummer Student, gescheiterter Unternehmer und so weiter. Zu was besserem war ich nicht zu gebrauchen."
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1910 in Berlin geboren ist er mit Anfang 20 vielseitig interessiert: Schauspielerei, Fotografie, Verkehrsplanung, Architektur. Wofür soll er sich entscheiden? Zukunftsvisionen, wie Fritz Langs' Stummfilm Metropolis, begeistern ihn.
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"Damals war nicht nur ich selbst, sondern auch andere Jugendliche irgendwie in einer Euphorie der fortschreitenden Technik, wir betrachteten es als Fortschritt, wenn ein Flugzeug wieder mal schneller flog, wenn es mehr Autos gab und so weiter, all diese Dinge, die Telegrafie und die drahtlose Telefonie und so weiter, die Fortschritte, die gemacht wurden. All das begeisterte uns bis zu einem gewissen Grade und wir sahen darin durchaus ein positives Moment."
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Erst will er Reklamezeichner werden, dann wird er doch Bauingenieur, eine für ihn ideale Verbindung von Ingenieur und Künstler. Im Studium muss er viele statische Berechnungen durchführen und...
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" ... dazu gehört eine ungeheure Menge Kleinarbeit: Rechenarbeit und so fort. Ich dachte mir, das müsste man doch eigentlich automatisieren können, und so ist das dann Schritt für Schritt entstanden - die Idee."
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Das Automatisieren von Rechenvorgängen lässt ihn nicht mehr los. 1935 schließt er sein Studium ab und fängt bei den Henschel Flugzeugwerken als Statiker an, doch ein Jahr später kündigt er erst einmal.
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"Da war ich inzwischen schon mit meinen Plänen so weit, dass ich völlig überzeugt war, daraus wird jetzt dein Lebenswerk und hab ihnen also gesagt: 'Gut, jetzt hör ich bei Henschel auf und baue erstmal das Gerät'.
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Seine intellektuelle Leistung ist dabei das Wegweisende. Seine Idee bedeutet einen Paradigmenwechsel bei der Konstruktion von Rechenmaschinen: Vom Dezimalsystem mit den Zahlen von 0 bis 9 zum Binärsystem, in dem es nur Nullen und Einsen gibt.
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"Das ist also der eigentliche Schnitt, der so um 1936 dann gemacht wurde. Bis dahin war es selbstverständlich, dass eine Rechenmaschine dezimal arbeitet: Diese kleinen Ziffernrädchen, kennen sie alle, nicht? Und dann ... sind die Hauptelemente ja reine Ja-Nein-Elemente, die also irgendwie das Ja oder Nein festhalten, aber die müssen gesteuert werden, müssen ausgewählt werden. Meine ersten Geräte hatten das schon, nur in einer anderen Technologie."
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Zuse wohnt bei seinen Eltern, den ersten Rechner baut er mit Unterstützung seines großen studentischen Freundeskreises als Laubsägearbeit aus Holz und Blech im heimischen Wohnzimmer.
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"Mut und Leichtsinn liegen dicht nebeneinander und es war natürlich auch ein gutes Stück Leichtsinn; nicht alle haben daran geglaubt und haben gesagt 'Der ist verrückt!'."
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Die Z1 - zuerst hieß sie noch V1: Versuch 1 - ist der erste elektrisch angetriebene mechanische Rechner und wird 1938 fertig. Im Museum für Verkehr und Technik in Berlin steht heute ein Nachbau: 4m² groß, er besteht aus Blechteilen, Kurbeln, Glasplatten und Programmwalzen.
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"Sie können eine Kurbel betätigen, dann rattert es einfach los oder sie verwenden einen Elektromotor - beim Original war es ein Staubsaugermotor -, dann wird diese Maschine sie irgendwann auffordern, die erste Zahl einzugeben: Sie würden an vier kleinen Blechen die Zahl einstellen - sie würden die ziehen: das 2. Blech, das 6. Blech - und würden dann einen Bestätigungsbefehl in Form eines Hebels geben und dann würde diese Zahl eingelesen, ins binäre Zahlensystem umgewandelt werden, in den Speicher abgelegt werden - in den mechanischen Speicher -, schließlich würde die zweite Zahl angefordert werden, und dann würden diese beiden Zahlen im Register mit mehreren Zwischenschritten, dann aber völlig automatisch halt, über mehrere Additionen miteinander multipliziert werden, und irgendwann würde dann an einem kleinen Ausschnitt - würden Bleche gegeneinander verschoben werden, auf denen Ziffern stehen und da würden sie dann das Ergebnis ablesen können."
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Ganz schön kompliziert und nicht unbedingt schneller als Kopfrechnen, aber Zuse fühlt sich bestätigt: das Prinzip funktioniert. 1940 entsteht als weiteres Versuchsobjekt die Z2, deren Rechenwerk aus Fernsprechrelais anstatt der handgefertigten Bleche besteht. Die Relais besorgt er sich im Altwarenhandel. Sie kennen nur 2 Zustände: 0 und 1, Strom und kein Strom.
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"Das Fernsprechrelais ist ein idealer Baustein, weil es nur diese beiden Zustände kennt. Das lag damals fertig entwickelt vor, man brauchte also keine neue Technologie zu verwenden und die Relais nur zu nehmen und richtig untereinander zu verschalten."
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Den Durchbruch erzielt er 1941 mit seiner Z3.
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"Es war die erste programmgesteuerte Maschine, die wirklich routinemäßig eingesetzt war."
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Eine Sonderanfertigung dieses Rechners mit begrenzter Programmierfähigkeit, mit Speicher und einer Zentralrecheneinheit aus Telefonrelais wird in der Rüstungsindustrie eingesetzt.
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"Die war speziell für technisch-wissenschaftliche Rechnungen gebaut, und die Flugzeugbauer interessierten sich für so genannte Flatterrechnungen, die einen außerordentlichen hohen Aufwand an numerischen Rechnungen erforderten. Und wir haben dann eine Reihe von Programmen an dem Gerät ausprobiert - die sind dann auch probeweise durchgerechnet worden, und insofern ist die Maschine eingesetzt worden."
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Mit viel Glück wird Konrad Zuse zweimal nur kurz als Soldat eingezogen und bald 'unabkömmlich' gestellt. Er gründet eine kleine Firma, die bei Kriegsende rund 20 Mitarbeiter hat. Vom Computerbau in den USA erfährt er nur bruchstückhaft. Weit nach Kriegsende erkennen die Amerikaner an, dass Zuse ihnen mit seiner Erfindung voraus war. Aber auch die Z3, der erste funktionstüchtige Rechner der Welt, weist noch Schwächen auf:
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"Wenn ich eben komplette Rechenpläne durchrechnen wollte, wo die Maschine dann hätte minutenlang oder stundenlang arbeiten müssen, dafür reichte die Zuverlässigkeit der Maschine nicht aus."
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Die Z3 entspricht schon rein äußerlich nicht dem, was man sich um 1940 unter einer Rechenmaschine vorstellt. Ein Nachbau der Z3 steht heute im Deutschen Museum in München.
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"Eine Rechenmaschine war etwas, was man auf den Tisch stellen, und nun die Relaismaschine füllte einen ganzen Raum mit tausenden von Relais und dieser Schritt - rein psychologisch - war damals schon recht schwierig."
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"Das Gerät Z3 hatte etwa 2000 Relais: 600 im Rechenwerk und in den Steuerungsorganen und 1500 als Speicherrelais."
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Die Z3 wird bei den Bombenangriffen auf Berlin zerstört, doch 1944 hat Zuse die Z4 fertig gestellt. Sie wird gerettet.
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"Es gelang uns dann, von der Gruppe von Wernher von Braun einen Lastwagen zu bekommen, und sind dann in abenteuerlicher Flucht schließlich bei den Alpen gelandet und konnten unser Gerät in einem kleinen Alpendorf - Hinterstein - notdürftig unterstellen."
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Hier in den Allgäuer Alpen wartet Zuse erst einmal die weiteren politischen Entwicklungen ab und gründet ein Ingenieurbüro. Kurz vor Kriegsende hat er in Berlin noch geheiratet: sein erster Sohn wird geboren. Aus der zerstörten Hauptstadt hat es ihn in eine intakte Alpenidylle verschlagen: hier hat er Muße zum Nachdenken.
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"Und da habe ich mir gesagt, jetzt werde ich mal meine theoretischen Gedanken in Ordnung bringen, damals entstand dann der 'Plankalkül':"
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Die erste höhere Programmiersprache der Welt. Bis heute werden noch nicht alle Ideen aus dieser wegweisenden Programmiersprache verstanden und genutzt. Zuse macht in Hinterstein seine Z4 funktionstüchtig und lenkt die Aufmerksamkeit des Instituts für angewandte Mathematik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich auf seinen Rechner. Die Z4 zieht 1950 nach Zürich um, das ist der entscheidende Schritt aus der Isolation.
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"Das war für uns selbstverständlich der Start für die Entwicklung nach dem Krieg - da stand es auch an einer Stelle, die international beachtet wurde."
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Das Wirtschaftswunder der 1950er und 60er Jahre bringt auch Konrad Zuse Erfolg. Schon 1949 wird er in Nordhessen ansässig und gründet mit zwei Freunden die Zuse KG. Er baut nun Rechner in Serie. Zusammengehörigkeitsgefühl, Humor und Aufbaugeist prägen das Unternehmen. Der erste kommerzielle Auftrag ist die aufwändige Berechnung eines neuen Objektivs für die optische Industrie. Ein weiterer wichtiger Auftraggeber sind die Universitäten, denen Zuse die ersten Computer liefert. Zuse-Computer kommen in vielen praktischen Anwendungen zum Einsatz, zum Beispiel bei der Landvermessung und dem automatischen Generieren von Landkarten.
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"Der hat ja nicht nur den Computer erfunden, sondern der hat auch 1944 schon den ersten Prozessrechner der Welt gebaut, der hat 1950 den Pipelinerechner erfunden, der hat 1956 das Patent auf den ersten Massivparallelrechner bekommen und er hat in seinem ersten Rechner schon nur mit Null und Eins intern gearbeitet; auch die heutigen so genannten Supercomputer vereinigen die Prinzipien von Zuse..."
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...erklärt Bernhard Tillmann, Freund und Berater Zuses in seinen letzten 10 Lebensjahren. Zuses Firma hat in Bad Hersfeld zwar an die 1000 Mitarbeiter, aber permanent finanzielle Probleme. Das liegt an kaufmännischen Fehlern, hohen Investitionskosten, aber auch an einem technischen Quantensprung, der Zuses Unternehmen überfordert. Amerikanische Firmen kommen mit hoch subventionierter, preiswerter Software auf den deutschen Markt. Da kann Zuse nicht mehr mithalten.
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"Das liegt an einer gewissen Tragik darin, dass ich zu wenig Manager war und die wissenschaftliche Seite zu sehr persönlich bevorzugte, anstelle mich der kaufmännischen Seite zu widmen."
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1964 kommt dann das Aus. Über Umwege wird die Firma Siemens der neue Besitzer. Eine zweite große Enttäuschung: Mitte 1967, nach einem 26jährigen Verfahren beim Patentgericht, wird seine Anmeldung eines Patents auf den Computer nicht anerkannt: 'wegen der fehlenden Erfindungshöhe', wie es heißt. Zuse scheidet Ende 1969 mit 59 Jahren ganz aus seinem ehemaligen Unternehmen aus.
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"Zuse konnte unglaublich gut mit den Widrigkeiten des Lebens umgehen. Wenn etwas nicht so klappte, wie er sich das vorstellte, dann hat er sich das logisch erklärt und dann war das abgehakt."
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Er bleibt ein Quer- und Vorausdenker. In seiner Autobiografie 'Der Computer - Mein Lebenswerk' schreibt er 1970:
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"Ich weiß, dass ich mich mit meinen Ideen vom rechnenden Raum und den sich selbst reproduzierenden Systemen auch bei meinen Freunden nicht beliebt mache. Dass ich an der Erfindung des Computers mitgewirkt habe ist ja schön, aber dass ich immer noch mit meinen Gedanken eigene Wege gehe, die nicht den Vorstellungen und Wünschen meiner Zeitgenossen entsprechen, das ist weniger schön. Für mich sehe ich jedoch die Aufgabe darin, in dem Komplex der allgemeinen Zukunftsvorstellungen die Lücken herauszufinden, die meiner Meinung nach nicht gesehen oder nicht genügend beachtet werden. Sicher kann es sich erst wesentlich später zeigen, wieweit ich recht hatte."
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Er widmet sich seinem Hobby, dem Malen. Seine Bildmotive erinnern oft an Fantasie-Architekturen wie aus Metropolis, dem prägenden Film seiner Jugendzeit. Er hält Vorträge und nimmt zahlreiche Ehrungen entgegen, und er widmet sich neuen Projekten.
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"Die letzten 3 Jahre seines Lebens haben wir den Helixturm gebaut, einen Turm, der in der Lage war, sich selber auf- und abzubauen, um Windenergie erzeugen zu können. Wir haben den Prototypen von 2,10m Höhe fertig gekriegt. Durch Zuses Tod gibt's da jetzt eine 10jährige Pause, in der mit dem Turm nichts mehr passiert ist."
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In einem letzten Fernsehinterview, nur wenige Monate vor seinem Tod - heute vor 10 Jahren - blickt er nachdenklich auf sein Leben zurück.
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"Es erfüllt mich mit einem gewissen Selbstbewusstsein, dass mein Computer zuerst gelaufen ist, das ist eine Befriedigung - ich bin auf dem richtigen Wege gewesen. Und im Übrigen hat man natürlich viel vorausgesehen, und dann sagt man sich: 'Ja, man hat nicht umsonst gelebt'. Allerdings gibt es auch andere Momente, es ist - nicht alles liegt im Sinne des Erfinders, das ist klar. Darüber könnte man stundenlang reden - hören wir auf, nicht?"



Von Nullen und Einsen

Vor 10 Jahren: Computererfinder Konrad Zuse stirbt

Konrad Zuse


"Ich habe den Computer erfunden, weil ich zu faul war zum Rechnen", erzählt Konrad Zuse. Er wird am 22. Juni 1910 in Berlin geboren, sein Vater ist Postsekretär. Konrad Zuse will erst Reklamezeichner werden, entscheidet sich dann aber doch für das Bauingenieurstudium. Er muss viele statische Berechnungen durchführen und sinnt darüber nach, wie sie zu automatisieren sind. Auch als er 1935 bei den Henschel-Flugzeugwerken in Berlin-Schönefeld als Statiker anfängt, lässt ihn das Automatisieren von Rechenvorgängen nicht mehr los. Nach einem Jahr kündigt er und konstruiert im Wohnzimmer seiner Eltern die erste elektrisch angetriebene mechanische Rechenmaschine: die "Z1". Sie wird 1938 fertig und besteht aus Blechteilen, Kurbeln, Glasplatten, Programmwalzen und einem Staubsaugermotor. Von Zuse stammt die Idee, Rechner nicht nach dem Dezimalsystem mit den Ziffern von null bis neun rechnen zu lassen, sondern nach dem Binärsystem, in dem es nur Nullen und Einsen gibt.

1940 entsteht die "Z2", deren Rechenwerk aus Fernsprechrelais besteht. Die Relais kennen nur zwei Zustände: null und eins - Strom und kein Strom. Zweimal wird Zuse kurz als Soldat eingezogen, aber bald "unabkömmlich" gestellt. Den Durchbruch erzielt er 1941 mit seiner "Z3", von der er sagt: "Es war die erste programmgesteuerte Maschine, die wirklich routinemäßig im Einsatz war" - auch in der Rüstungsindustrie der Nazis. Die "Z3" wird bei Bombenangriffen auf Berlin zerstört. Daraufhin stellt Zuse 1944 die "Z4" fertig und transportiert sie mit dem Lastwagen in das Allgäuer Alpendorf Hinterstein. Dort richtet er nach Kriegsende ein Ingenieurbüro ein und entwickelt mit "Plankalkül" die erste Programmiersprache der Welt. 1949 gründet er in Nordhessen die Zuse KG und baut Computer in Serie. Die "Z4" vermietet er an die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) in Zürich. Fachpersonal für Zuses Firma gibt es kaum, so dass gespottet wird: "Ob Schneider oder ob Friseur, bei Zuse werden's alle Ingenieur."

Zuses Unternehmen in Bad Hersfeld hat zwar rund 1.000 Mitarbeiter, aber permanent finanzielle Probleme. Das liegt an kaufmännischen Fehlern, hohen Investitionskosten und dem Konkurrenzdruck durch IBM. 1964 kommt das Aus. Die Firma wird von Siemens aufgekauft. Ein lebenslanger Beratervertrag sichert Zuse finanziell ab. Denn reich geworden ist er mit seiner Erfindung nicht. Mitte 1967 - nach einem 26-jährigen Verfahren beim Patentgericht - wird seine Anmeldung eines Patents auf den Computer nicht anerkannt - wegen der angeblich "fehlenden Erfindungshöhe". Im Alter malt Zuse unter dem Pseudonym Kuno See Ölbilder, die an futuristische Phantasiearchitekturen erinnern. 1994 beschäftigt sich der inzwischen 84-Jährige mit der Entwicklung eines Windgenerators, dessen Propeller der Windstärke angepasst werden können. Am 18. Dezember 1995 stirbt Konrad Zuse an seinem dritten Herzinfarkt.

Autor: Walter Liedtke